Call For Papers
Liminal Spaces


— For the English version, please see below —


re:visions, ein deutsch- und englischsprachiges Online-Journal für transdisziplinäre Texte zu Kunst und visueller Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts, lädt Studierende ein, Abstracts für die Erstausgabe unter dem Thema “Liminal Spaces” sowie Rezensionen einzureichen.

Wir befinden uns inmitten einer sich ungleich über den Globus verbreitenden Pandemie, deren Ende oder langfristige Auswirkungen noch nicht auszumachen sind. Durchleben wir gerade eine historische Schwelle, einen transformativen Zeitpunkt des Dazwischen, der die soziale Ordnung in eine prä-pandemische Zeit und eine durch die Pandemie-Erfahrung geformte Zukunft teilt, wie kürzlich unter anderem Bruno Latour und Giorgio Agamben vorschlugen? Lassen sich in der Reaktion auf das Virus vielmehr größere immuno-politische Verlagerungen, die sich seit mehreren Dekaden anbahnen, deutlicher erkennen, wie Paul B. Preciado argumentiert? Eine Möglichkeit, diesen transitorischen Moment zu verstehen liegt in seinen Verbindungen zu einem Zustand der Liminalität. Ursprünglich durch den Anthropologen Arnold van Gennep (1909) und den Ethnologen Victor Turner (1967) eingeführt, beschreibt der Begriff einen Schwellenzustand, das Überschreiten einer Grenze (limen) im Kontext von Ritualen oder Übergangsriten. Prozesse, die den Subjektstatus in einem flüchtigen Dazwischen-sein unbestimmt lassen. Unsere Gegenwart, in der Liminalität in ungeahntem Maße kollektiv erscheint, fordert uns dazu auf, die Idee des Liminalen über unsere gegenwärtige Situation hinaus neu zu denken und zu re-evaluieren, wie dieses Konzept innerhalb der Geschichte und in kulturellen Praktiken wirkt.

Anstatt uns auf prozess- und ritual-gerichtete Definitionen von Liminalität zu begrenzen, möchten wir Beitragende dazu einladen, Grenzerfahrungen und Zwischenzustände im Bereich moderner und zeitgenössischer Kunstpraktiken und visueller Kultur allgemein zu erkunden. Innerhalb dieses Rahmens kann das Konzept verschiedenste räumliche Strukturen und mediale Formen annehmen. So zum Beispiel durch den Begriff des Interface in den Medienwissenschaften: Alexander Galloway (2012) definiert das Interface als eine Schwelle, einen “Punkt des Übergangs zwischen vermittelnden Ebenen”, und bezeichnet es als “fertilen Nexus” für Aktionen und neue Möglichkeiten. W.J.T. Mitchell (2008) betrachtet Medien, insbesondere formlose, generell als liminal, da er sie als gleichzeitig überall und nirgendwo

existierend versteht. Untersuchungen von liminalen Orten, Räumen oder Umgebungen können sich ebenso darauf richten, wie sie menschliche Subjekte transformieren und durch sie transformiert werden, wenn diese sie betreten oder bewohnen. Dieser Ansatz klingt zum Beispiel in Donna Haraways (1985) Konzeption der Cyborg mit, einer Mischform aus Mensch und Maschine, die aus der Auflösung von Grenzen entsteht, oder Homi Bhabhas (1994) Theoretisierung “Dritter Räume” als Ort hybrider, produktiver Interaktion. Zwischenräume haben aber bei weitem nicht nur positive Effekte. Bedenkt man den von Eve Sedgewick Kosofsky (1996) untersuchten repressiven closet, bietet sich ein bestenfalls ambivalentes Reading an: ist eine nicht-geoutete Person in the closet vielleicht vor Diskriminierung geschützt, beschränkt dies jedoch die eigene Identität. Zudem besteht die latente Drohung des ungewollten Outings. Die Körperlichkeit von Übergangsräumen lässt sich auch mit Hortense Spillers (1987) radikal zerstörerischem Vestibül verstehen: der Reise über den Atlantik auf Sklavenschiffen, die afrikanische Menschen zu Zeiten des transatlantischen Sklavenhandels grausamst ihrer Sprachen, individuellen und kulturellen Identitäten beraubten und ihre Körper zu bloßem Fleisch degradierten.

Die Erstausgabe von re:visions soll Konzeptionen des Dazwischen und des Randständigen als kritischen Theoriebegriff schärfen und erweitern, indem die Möglichkeiten und Grenzen liminaler Orte und Räume untersucht werden. Dies kann aus kultur-, film- oder medienwissenschaftlichen, dekolonialisierenden, queer-feministischen oder anderen Perspektiven untersucht werden. Durch die gegebene Bandbreite möchten wir eine transdisziplinäre und vielschichtige Debatte ermöglichen. Mit Kunst und visuelle Kultur als Ausgangspunkt und Bezugsrahmen laden wir Beitragende dazu ein, liminale Orte für das 20. und 21. Jahrhundert neu zu bestimmen oder zu imaginieren.

Die Einsendungen können unter anderem folgende Aspekte behandeln, ohne darauf limitiert zu sein:

  • Liminale Orte innerhalb oder um Kunstwerke herum, bspw. Kontaktzonen zwischen Werk und Betrachtenden, Ränder von Werken oder Museen als Ritual.
  • Medien-spezifische Manifestationen des Liminalen
  • Produktive, transformative oder destruktive Potenziale liminaler Räume und die  Erzeugung von Subjektivitäten durch liminale Räume
  • Kreuzungen oder Überlappungen/Überlagerungen zwischen liminalen Orten und verwandten Konzepten, z. Bsp. Heterotopie, dritter Raum, Nicht-Ort, Hybridität,  Agambens state of exception, Migration und Diaspora
  • Grenzen bestehender Konzepte und neue Konzeptualisierung des Liminalen für Kunstgeschichte und -kritik
  • Künstlerische Positionen, die sich mit Grenzen als physische oder mentale Orte der Transition befassen

Neben Beiträgen zum Thema “Liminal Spaces” begrüßen wir auch die Einsendung von nicht- themenbezogenen Rezensionen (von Ausstellungen, Filmen, (Fach)Literatur, Performances, etc.); insbesondere marginalisierte Communities, wie queere Menschen, Schwarze und

Persons of colour, ermuntern wir zu Einreichungen. Für Essays erbitten wir erweiterte Abstracts (800 bis 1.000 Wörter) einzureichen, Rezensionen hingegen als vollständigen, ersten Entwurf (1.500 bis 2.500 Wörter). Ausgewählte Autor:innen werden eingeladen, einen Essay im Umfang von 4.000 bis 7.000 Wörtern zu schreiben. Bewerbungen entweder auf Deutsch oder Englisch inklusive kurzem CV bitte bis zum 07. September 2020 per Email als Word-Datei an revisions[at]posteo.de schicken (Betreff: Proposal Essay oder Proposal Review). Die Beiträge werden in der ersten Ausgabe von re:visions erscheinen, deren Veröffentlichung für Dezember 2020 vorgesehen ist.





re:visions, a German- and English-language digital student journal for transdisciplinary texts on art and visual culture of the 20th and 21st century, is accepting article proposals for its inaugural issue, themed “Liminal Spaces”, as well as reviews.

We find ourselves in the midst of a pandemic that is developing unevenly across the world with no clear end in sight. Are we, as recent texts by Bruno Latour and Giorgio Agamben, among others, have suggested, passing through a historical threshold, a moment of transformation that is “betwixt and between” the social order of a pre-pandemic time and a future that will be shaped by our pandemic experience? Do we find ourselves in a period in which immuno-political shifts that have been going on for decades are becoming more clear, as Paul B. Preciado argues? One way we may conceive of this moment of transition is its correspondence to a condition of liminality. This concept was originally introduced by the ethnologist Arnold van Gennep (1909) and anthropologist Victor Turner (1967) to describe the transitional experience of crossing a margin (limen) in the context of rituals or “rites of passage,” a process that renders the status of a subject existing in this volatile state of in- betweenness indeterminate. Our current moment—in which liminality is felt collectively on an unprecedented scale—invites us to reexamine this term, not only in its purchase on the situation we are living in today, but more so how it has operated within historical moments and cultural practices.

Rather than limiting ourselves to a processual and ritual-based definition of liminality, we invite contributors to explore its manifestations in the field of modern and contemporary art practice and visual culture at large. Within this framework, the concept can assume different spatial structures and medial forms. Take, for instance, the notion of the interface in media studies. Alexander Galloway (2012) defines the interface as a threshold, a “point of transition between different mediatic layers,” and calls it a “fertile nexus” in which things take place and new possibilities are generated. W.J.T. Mitchell (2008) suggests that media, including formless media, are liminal, as they simultaneously exist both everywhere and nowhere. Examinations of liminal spaces or environments might also focus on how they transform human subjects who enter or inhabit them and vice versa. This line of inquiry might resonate with Donna Haraway’s (1985) notion of a cyborg, a machine-organism hybrid that emerges from the dissolution of boundaries, or with Homi Bhabha’s (1994) idea of a “Third Space” of hybrid, productive interaction. Eve Sedgewick Kosofky’s (1996) notion of the oppressive closet offers an ambivalent reading at best: a closeted person might be safe from discrimination but restricted in their identity. In addition they experience the latent danger of an unwanted outing. The corporeality of liminal space might also be studied, through, for example, Hortense Spillers’ (1987) radically disruptive “vestibule,” embodied by the middle passage that gruesomely deprived Africans of their languages and personal and cultural identities during the middle passage and rendered their bodies as mere flesh.

The inaugural issue of re:visions is devoted to sharpening and complicating the concept of in- betweenness as a critical tool by examining the possibilities of liminal spaces. This form of space can be considered from the perspective of cultural studies, film or media studies, post- colonial studies, Posthumanism, feminist studies, and more. Given this breadth of possibilities, we hope to cultivate a transdisciplinary and engaging discussion. We invite contributors to produce new definitions and new imaginings of liminal spaces by adopting the art field as a starting point and frame of reference.

Topics of interest include, but are not limited to:
  • Liminal spaces within or around artworks, for instance, contact zones between artwork and audience, edges of artworks, or museum as ritual.
  • Medium-specific manifestations of liminality.
  • Productive, transformative or destructive potential of liminal spaces and the generation of subjectivities through liminal spaces.
  • Intersections between liminal spaces and related concepts, e.g. heterotopias, third spaces, non-places, hybridity, state of exception, migration and diaspora.
  • Limitations of existing concepts and new conceptualizations of liminality for art history and art criticism.
  • Inquiries into artistic practices dealing with physical as well as mental borders as places of transition

Please submit for evaluation an elaborated abstract of 800 to 1,000 words, written in either English or German. The submitted proposals will be evaluated by our editorial team, and contributors will be invited to write a 4,000 to 7,000 word paper if their proposals are selected. Contributions will appear in the first issue of re:visions, which is slated for December 2020. In addition to texts responding to the issue’s theme of “Liminal Spaces,” we are looking to publish non-thematised reviews (of exhibitions, books, films, etc.) of 1,500 to 2,500 words. We particularly encourage members of marginalized communities underrepresented in academic writing (including queer individuals, Black people, and people of colour) to hand in contributions. The deadline for submissions is September 7th, 2020. Please email your proposal and a CV as a Word document to revisions[at]posteo.de (subject matter: Proposal Essay or Proposal Review).




Journal der Freien Universität Berlin

Berlin, 2024