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Portrait:
Anat Homm


von Anne Diestelkamp und Leonie Rösler


Abb. 1: Anat Homm in ihrem Studio. Foto: Anna Hadaier @annahadaier


Wer das Studio von Anat Homm betritt, findet sich an manchen Tagen inmitten einer außergewöhnlichen Szenerie wieder: Über Stühlen und Tischen hängen drapiert riesige, durchscheinende Blätter aus hauchzartem Wachs. Diese fragilen, lichtdurchlässigen Schichten sind das Ergebnis einer Technik, die die Künstlerin selbst als „Häute ziehen“ bezeichnet. Dafür schmilzt Homm Wachsblöcke in einem Topf – oft unter Zugabe von Harz oder Wachskreiden. Die Konsistenz variiert je nach Temperatur: mal dünn wie Wasser, mal dick wie Sahne, mal zäh wie Kaugummi. Die Viskosität bestimmt, wie Homm das Material auf die Plastiken aufträgt – mit dem Pinsel, mit den Händen, oder indem Homm ihre Arbeit direkt mit dem Wachs benetzt. Für die hauchdünnen Transparente gießt die Künstlerin die heiße, flüssige Masse auf eine Wasseroberfläche in einem flachen Metallbecken. Nachdem sich das Material langsam verteilt hat, hebt Homm die fragile Folie vorsichtig aus dem Becken heraus und zieht sie behutsam auseinander. Sie schüttelt sie aus, dehnt sie. All dies geschieht in weniger als zwei Minuten. Die erstarrten Transparente hängt Homm anschließend zum Trocknen im Studio auf. Nach dem Aushärten trägt Homm das Wachs Schicht für Schicht auf Leinwände und Plastiken auf.


Unter der Haut


Abb. 2: Anat Homms Arbeit mit Wachs. Foto: Anna Hadaier @annahadaier


Homms wächserne Häute gehen unter die Haut. Inspiriert von literarischen wie künstlerischen Vorbildern – von Fjodor M. Dostojewski bis Peter Paul Rubens – erforscht Homm den menschlichen Körper in seiner Fleischlichkeit und Verletzlichkeit ebenso wie die fließenden Übergänge zwischen Ekel und Erotik, zwischen Abstoßung und Anziehung. Mal arbeitet sie sich systematisch an der Beschaffenheit der Haut ab – abgeschürft, verletzt, oder als elastisches Organ, unter dem sich Stauchungen abzeichnen; ein anderes Mal schafft sie plastische Arbeiten, in denen Glieder in den Körper eindringen oder aus ihm heraustreten, wieder andere Werke zeigen Organe. So reiht sich Homms Arbeit in eine Tradition von Künstler*innen ein, die mithilfe von Wachs die physische und metaphorische Formbarkeit des Körpers studiert haben: Berlinde De Bruyckere, Hermann Nitsch oder Kiki Smith.

Homms künstlerische Arbeit gibt Anlass, über abjekte Ästhetik nachzudenken. Ihr Werk lässt sich nicht nur vor dem Hintergrund Julia Kristevas Powers of Horror: an Essay on Abjection interpretieren, es hilft uns auch, unser Verständnis darüber zu schärfen, was abjektive Kunst ist und bewirkt. Ebenso relevant ist Homms Auseinandersetzung mit kunsthistorischen Traditionen und anatomischen Studien. Eine genaue Betrachtung des Abjekten in ihren Werken eröffnet unterschiedliche Möglichkeiten der Interpretation, ob psychoanalytisch, bildtheoretisch oder formgeschichtlich.

In ihrer 1980 veröffentlichten Abhandlung Powers of Horror: an Essay on Abjection schreibt die bulgarisch-französische Psychoanalytikerin Julia Kristeva:

„There looms, within abjection, one of those violent, dark revolts of being, directed against a threat that seems to emanate from an exorbitant outside or inside, ejected beyond the scope of the possible, the tolerable, the thinkable. It lies there, quite close, but it cannot be assimilated. It beseeches, worries, and fascinates desire, which, nevertheless, does not let itself be seduced.”1

Was Kristeva hier beschreibt, ist das Abjekte – ein Phänomen, das vom menschlichen Subjekt weder als Objekt noch als Subjekt wahrgenommen werden könne: „Not me. Not that. But not nothing, either. A ‘something’ that I do not recognize as a thing. A weight of meaninglessness, about which there is nothing insignificant, and which crushes me.”2 Als Beispiel nennt Kristeva die Haut, die sich auf ihrer warmen Milch bildet, die Sekrete des Körpers und – das Ultimum des Abjekten – den Leichnam. Das Abjekte ist auf der Grenze zwischen Subjekt und Objekt angesiedelt und stellt als solches jene Grenze kontinuierlich in Frage. In Kristevas Worten: „What does not respect borders, positions, rules. The in-between, the ambiguous, the composite.”3

Unter dem Begriff Abject Art versammeln sich seit den 1990er Jahren Kunstwerke, die Tabuisiertes thematisieren, indem sie körperliche und psychische Grenzzustände abbilden, stigmatisierte Körperflüssigkeiten verwenden oder organisches Material einsetzen, um den Körper in seiner Viszeralität zu erfassen. Das Abjekte ist Homms Prämisse; die körperliche Grenze ist ihr roter Faden. Und diese wird in ihren künstlerischen Arbeiten stetig überschritten: Mal greifen Glieder ineinander, mal schälen sie sich auseinander heraus, mal löst sich die Haut vom Leibe ab und gibt den Blick auf Wunden frei. Die Künstlerin formt, faltet und öffnet Körper. Sie zerlegt sie, schürft sie auf und bringt neue Körper zur Welt.

Geschürft, Geronnen, Geöffnet, Gerunzelt, Gefaltet, Gestaucht


Anat Homm, Abb. 3: Geschürft; Abb. 4:  Geronnen; Abb. 5: Geöffnet; Abb. 6: Gerunzelt; Abb. 7: Gefaltet; Abb. 8: Gestaucht; 2022. Fotos: Raphael Fischer-Dieskau.


In ihrer 2022 entstandenen Reihe an Hautstudien arbeitet Homm sich mit bemerkenswerter Präzision und Methodik an verschiedenen Stadien ihrer eigenen – weißen – Haut ab. Ihr Schema ist stets das gleiche: Eine Holzplatte wird mit übereinander gelagerten Wachsschichten überzogen, die im Ergebnis verschiedene Imitationen von Wunden, Hautöffnungen und körperlichen Zuständen zeigen. Geschürft, Geronnen, Geöffnet, Gerunzelt, Gefaltet, Gestaucht – die Titel, die Homm für die Serie wählt, folgen alle der gleichen sprachlichen Logik. Sie alle betonen, dass es sich hier um Hautoberflächen handelt, auf die von außen eingewirkt wurde. Homm öffnet, faltet und staucht das Material, mit dem sie arbeitet. Die Haut – oder vielmehr die Imitation derselben – wird hier zum formbaren Material, das sich den Händen der Künstlerin ergibt.

Haut ist in Homms Arbeiten nie intakt, sondern versehrt, geöffnet und porös. Doch während für Kristeva das Abjekte das ist, was vom Subjekt abgestoßen werden muss, zeigt Homm uns das Abjekte – in Form von Hautverletzungen und Wunden – als etwas, das es nicht abzulehnen, sondern zu integrieren gilt. Neben einer initialen Reaktion von Ekel, die die Werke Gerissen, Gefaltet, Geöffnet evozieren können, sind sie auch Ausdruck einer Externalisierung des Abjekten. Die Haut wird in Homms Arbeit zum Bild: losgelöst vom dreidimensionalen Körper und auf flache Holzplatten ‘aufgezogen’. Der dazugehörige Körper ist nicht mehr präsent, und die Haut wird in ihrer Bildhaftigkeit zum Objekt selbst.



Abb. 9: Anat Homm, Intrakorporal, 2022. Fotos: Raphael Fischer-Dieskau.

 
Homms Auseinandersetzung mit dem Abjekten ist vielschichtig und facettenreich. Ihre 2022 entstandene Plastik Intrakorporal zeigt ein schwer lesbares Set von hybriden Körperfragmenten, die ineinandergreifen: Ein voluminöses Polster, das an eine flache Brust erinnert, und ein wie ein Hühnerschenkel oder kleiner Arm aussehendes Körperteil, das in eine Öffnung oder Tasche im fleischigen Polster hineinragt. Intrakorporal entzieht sich jeder eindeutigen Zuschreibung: Mal scheint es, als krieche ein kleines, fleischliches Wesen auf der Suche nach Schutz in ein anderes hinein, mal entsteht der Eindruck, als schäle sich hier eine Kreatur aus der anderen heraus. Das Werk kommt als merkwürdig empfindungsfähig daher – wie Fleisch, das ein weiteres Stück Fleisch ‘gebärt’. In seiner Beschaffenheit erinnert die Oberfläche der Wachsplastik an ein federloses Huhn, an Teig oder sonnenverbrannte Haut, die sich langsam vom Körper abpellt.

Intrakorporal ist durchzogen von Transgression und Grenzen. Es wirkt, als wolle Homm mit dieser Plastik die Vielfalt des Abjekten und die Formen, die es annehmen kann, in einem einzigen Werk vereinen. Dieses Set aus fühlenden Wesen scheint so verstrickt, dass es unmöglich ist, zu erkennen, wo der eine Körper endet und der andere beginnt. In dieser Darstellung gibt es weder Subjekt noch Objekt – nur zwei Körperteile, die ineinander kollabieren. Die Stellen, in denen die fleischigen Segmente ineinandergreifen, wirken gleichermaßen wie Wunden und natürliche Körperöffnungen: Das Moment der Grenzüberschreitung bewegt sich irgendwo zwischen vulgär kodiertem Eindringen in den Körper und der Entbindung – im Spannungsfeld von Geburt und Sexualität. Mit etwas Fantasie lässt sich sogar eine angedeutete Nabelschnur erkennen. Homm verweist hier auf den Ursprung des Abjekten nach Kristeva: die Ablösung des Kindes vom Mutterkörper, die sich nach der Geburt immer wieder psychisch vollzieht, wann immer das menschliche Subjekt mit dem Abjekten konfrontiert wird.

Homms Arbeitsweise steht im besonderen Dialog mit der amerikanischen Bildhauerin Kiki Smith. Letztere kehrte in den 1980er Jahren als eine der Ersten das Innere des Körpers nach außen, um es zum Thema der Bildhauerei zu machen. Die Ähnlichkeit mit Smiths Arbeit wird vor allem in Homms Serie Torsi erkennbar, für die die Künstlerin abstrahierte Rümpfe aus Wachs anfertigte, in deren Inneren wächserne Gedärme oder andere Organe zum Vorschein kommen. Eine dieser Plastiken, Torsi 1 / 5 (2019), erinnert stark an Smiths Arbeit Second Choice aus dem Jahr 1987. Hier modelliert Smith verschiedene menschliche Organe aus Ton, die sie anschließend in einer Schale zum Stillleben stilisiert.


Abb. 10: Anat Homm, Torso, 2019; Abb. 11: Anat Homm, Vulgär, 2023. Fotos: Raphael Fischer-Dieskau.


Bei der Auseinandersetzung mit geöffneten Wachskörpern lässt sich die Geschichte der anatomischen (weiblichen) Wachsmodelle schwer ausklammern, wie sie unter anderem im 18. Jahrhundert in Florenz zu finden waren. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die sogenannte Venerina von Clemente Susini – eine lebensgroße Wachsfigur, deren geöffneter Torso den Blick auf die inneren Organe freigibt und den weiblichen Körper gleichermaßen makellos wie verletzlich zeigt. Ein dialogisches Moment verbindet diese anatomischen Inszenierungen der Vergangenheit mit Homms aktueller künstlerischer Praxis, in der der geöffnete Torso (2019) erneut zum Träger intimer Offenbarungen wird. Arbeiten wie Vulgär (2023), eine kleinformatige Wandtafel, bei der durch die mandelförmig aufgeschnittene Wachshaut innere Organe sichtbar werden, eröffnen so – jenseits einer psychoanalytischen Lesart – eine weitere Interpretation: Die geöffneten Wachs-Körperfragmente der Künstlerin korrespondieren mit Georges Didi-Hubermans Gedanken zu Bild, Körper und Verletzlichkeit in seiner 2006 veröffentlichten Abhandlung Venus öffnen – Nacktheit, Traum, Grausamkeit. Hierin beschreibt er das Bild nicht als statische Darstellung, sondern als eine Wunde, als eine Öffnung – einen Ort, an dem sich Materialität, Begehren und Zerstörung überlagern. Die Venerina ist für ihn ein Schlüsselbeispiel für die Verschränkung von westlichen Schönheitsidealen innerhalb der Florentiner Gesellschaft und der Grausamkeit in Form des aufgeschnittenen weiblichen Torsos. Betrachtet man Homms Werk im Licht von Didi-Hubermans Überlegungen, wird deutlich: Auch hier treffen wissenschaftliches Sezieren und künstlerische Sichtbarmachung aufeinander. Fragmentiertes Fleisch und wächserne Materie werden zur Topografie des Körpers – einem Ort, an dem sich Form und Auflösung überlagern und an dem das Abstoßende und Obszöne zwischen Eigenem und Fremdem, Ganzheit und Verfall sichtbar wird. Durch den beruflichen Hintergrund ihrer Familie hat die Künstlerin Erfahrung im Sezieren von Tierkadavern. Ähnlich behutsam schneidet sie das Wachs auf und legt das Verborgene, Innenliegende frei. Doch während die Venerina in einer Weise inszeniert wurde, die den weiblich gelesenen Körper als Objekt der Begierde und als Teil der wissenschaftlichen Forschung gleichermaßen fetischisierte und objektifizierte, vermeidet Homm geschlechtsspezifische Zuschreibungen. In ihrer Arbeit wird der Körper als Fragment zu einer abstrakten Masse aus Fleisch und Haut im Zustand der Öffnung.

Körper im Rausch



Abb. 12: Anat Homm, Höllensturz, 2023. Fotos: Raphael Fischer-Dieskau.  Abb. 13:  Peter Paul Rubens, Hollensturz der Verdammten,  1620, in Anat Homms Studio. Foto: Anna Hadaier @annahadaier.


Zwischen kleinformatigen Arbeiten finden sich in Homms Atelier auch groß angelegte Plastiken. Eine, an der die Künstlerin in den letzten Jahren arbeitete, ist Höllensturz (2023). Die knapp zwei Meter hohe Arbeit zeigt ineinander verschlungene weiße und schwarze Körperfragmente, die zu einer amorphen Masse verschmelzen. Unter der obersten Wachsschicht geben verschiedene Materialien die Form: Textilien, Papier, Leim, Marmorpulver und Metall. Diese Kombination führt zu einer Oberfläche, die rau und unregelmäßig erscheint, an manchen Stellen weich und fleischig, an anderen wiederum dunkel, fast verbrannt. Die ineinander verwobenen Leiber strecken und winden sich, während die Struktur der Plastik die fragile Balance zwischen Aufstieg und Absturz aufrechterhält.

Dem großformatigen Werk gingen mehrere Annäherungen voraus, darunter Höllensturz 1 (2022), ein kleines, rechteckiges Relief aus Textil und Wachs auf einer Holzplatte. Unter dem wie weiße Haut anmutenden Wachs wölbt sich ein Gewülst; etwas brodelt unter der Oberfläche. Mithilfe von Studien wie dieser tastet sich Homm langsam an die Verschmelzung der Körper heran, die sie in Auseinandersetzung mit Peter Paul Rubens besonders interessiert.

Rubens' Gemälde Höllensturz der Verdammten von 1620 entfaltet eine dichte, dramatische Komposition: unzählige nackte, spannungsvoll verzerrte Gestalten stürzen in eine bodenlose Tiefe. In expressiven Posen inszeniert und in einem unentwegten Spiel aus Licht und Dunkelheit gefasst, verflechten sich die Körper so eng, dass sie kaum mehr voneinander zu unterscheiden sind. Sie bilden ein Konglomerat – eine Art fleischlicher Strudel. Wie kaum ein anderer Maler erweitert Rubens die ikonografische Tradition des Höllensturzes und inszeniert den Fall nicht nur als Strafe, sondern als existenziellen Kipppunkt: als Übergang in einen Zustand jenseits des Greifbaren.

In ihrer dreidimensionalen Umsetzung überträgt Homm die Dynamik von Rubens Malerei ins Materielle: Sie isoliert nicht einzelne Figuren, sondern das Moment der Bewegung selbst – das Kippen, das Reagieren, das Ineinander. Während Rubens malerisch mit Hell-Dunkel-Kontrasten arbeitet, erreicht Homm, durch ihre plastische Arbeit, in der sie Wachs miteinander verschweißt, eine körperliche Erfahrung im Raum. Ihr Medium schafft ein unmittelbares Gegenüber, wodurch eine Nähe entsteht, in der das Körperliche im Sturz der Leiber spürbar wird. Es ist bei Homm der fließende Übergang zwischen Körper und Objekt, zwischen organischer Substanz und künstlerischer Form, der ihrer Arbeit ihre eindringliche Präsenz verleiht. Der Wachsleib erscheint hier nicht bloß als Darstellungsträger, sondern als Material in ständiger Verwandlung – deformiert, durchlässig, neu zusammengesetzt. So wird der Körper selbst zum Objekt, das in einem Zustand der permanenten Metamorphose festgehalten ist, sich auflöst und wieder neu zusammensetzt. Damit knüpft die Darstellung an Rubens’ Gemälde an, das den Fall der Körper als ein unaufhörliches Spiel zwischen Sein und Auflösung inszeniert. Ihr Höllensturz verweist damit auf verwandte und doch ganz eigene Art und Weise auf die körperliche Entgrenzung im Rausch des Fallens hin.

Anat Homms Atelier ist mehr als ein Ort künstlerischer Produktion – es ist ein Ort der Auseinandersetzung mit Grenzzuständen: zwischen Bild und Körper, Oberfläche und Tiefe, Ikonografie und Psychoanalyse. Inmitten transparenter Häute und plastischer Fragmente entfaltet sich ein Werk, das sich auf vielfältige Weise lesen lässt: als Reflex auf abjektes Erleben im Sinne Julia Kristevas, als bildtheoretische Untersuchung des Sichtbaren und Unsichtbaren oder als Weiterführung anatomischer und kunsthistorischer Traditionen. Homms Arbeiten irritieren gewohnte Körperbilder, sie durchdringen und destabilisieren kategoriale Grenzen – zwischen Objekt und Subjekt ebenso wie zwischen Fleisch und Form. Gerade diese Ambivalenzen machen Homms Werk so anschlussfähig für unterschiedliche Diskurse. Die Fragmente aus Wachs, Fleisch und Haut bilden nicht nur Verletzlichkeit ab, sondern lassen das Abjekte als ästhetisches Prinzip sichtbar werden – als das, was die Ordnung stört und gleichzeitig ihr konstitutiver Bestandteil ist. Welche Lesart auch verfolgt wird, Homms Kunst ist bestimmt von theoretischen wie materiellen Grenzerfahrungen, deren Spuren sich in jedes ihrer Werke einschreiben.



Anat Homm wurde 1995 in Dresden geboren. Sie studierte Bildende Kunst in der Klasse von Prof. Karsten Konrad. 2023 wurde sie mit dem Anerkennungspreis der Ursula-Hanke-Förster-Stiftung ausgezeichnet. Anat Homm lebt und arbeitet in Berlin.

Anne Diestelkamp ist freie Programmkuratorin und Texterin. Zuletzt kuratierte sie Programme für die VIDEONALE.20 – Festival für Video und zeutbasierte Medien und  das Festival OSTEN. Ihr wissenschaftliches Interesse gilt der Transkorporealität, dem Neuen Materialismus, Embodiment und der Psychoanalyse. Als freie Lektorin und Übersetzerin arbeitete sie bisher u.a. für den DISTANZ Verlag, den Hamburger Bahnhof, die Kunsthalle Recklinghausen und die Schirn Kunsthalle.


Leonie Rösler arbeitet als freie Kuratorin und Kunsthistorikerin. Zuletzt war sie u.a. für den Kunstverein Ost sowie im Rahmen eines Lehrauftrags an der Muthesius Kunsthochschule Kiel tätig. Während ihres Studiums der Kunst- und Bildgeschichte an der der Humboldt-Universität zu Berlin unterstützte sie Prof. Dr. Charlotte Klonk am Lehrstuhl für Kunst und Neue Medien. Ihr wissenschaftliches Interesse reicht von zeitgenössischer Videokunst, osteuropäischer Malerei bis zu Fragen der Bildpolitik. Seit März leitet sie gemeinsam mit Marlene Sichelschmidt die Galerie Ebensperger.


1 Julia Kristeva, Powers of Horror: An Essay on Abjection (Columbia University Press, 1982): 1.
2 Kristeva, Powers of Horror, 1.
3 Kristeva, Powers of Horror, 4.



Journal der Freien Universität Berlin

Berlin, 2025