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Durchlässige Körper:
Schmerzgrenzen und ihre Überschreitung bei Florentina Holzinger


by Claudia Redka

„18 Erste-Hilfe-Einsätze bei Opernperformance in Stuttgart“1 titelt der Spiegel, und sogar auf der Webseite der Tagesschau findet sich ein Artikel zu Florentina Holzingers Operninszenierung Sancta (2024), wenn auch etwas weniger reißerisch. Florentina Holzinger ist seit ihrem Solo-Debüt als Regisseurin in Apollon (2017) bekannt für ihre Bühnenstücke mit Spektakelcharakter. Von Monopol zur wichtigsten Künstlerin 2024 gekürt, wird sie Österreich bei der kommenden Venedig Biennale vertreten. Die Arbeit mit ausschließlich weiblich gelesenen Personen, die nackt auftreten, ist ebenso zu ihrer Signatur geworden wie die visuell explizite Darstellung von Blut, Exkrementen und Gewalt. Tabubrüche und ein experimentell-affektives Körperverständnis dienen dazu, stereotypisierte Weiblichkeitsbilder zu durchbrechen und den Körper zu entgrenzen. Dennoch staunt man insgeheim, dass Theater heutzutage immer noch Aufsehen erregen kann, wenn weiblich gelesene Körper aus einem scheinbar überwundenen Rollenschema fallen, innerhalb einer Gesellschaft, die sich als gleichberechtigt begreift. Oder mag es gerade in der aktuellen Zeit nicht verwundern, wo sich neue alte Allianzen aus Konservativen bilden, die binäre Geschlechterrollen bewahren wollen, aus Furcht um ihre Macht in einer pluralistischen und diverser werdenden Gesellschaft?

Grundsätzlich bedient sich die Wiener Choreographin eines feministischen Themenspektrums, das um Schönheitsideale, Mutterschaft und Kirche kreist und im Theater schon lange behandelt wird. Jedoch findet sie – und darin liegt die Sprengkraft ihrer Stücke – eine völlig neue Formensprache, die den Körper selbst als Schauplatz und Experimentierfeld begreift und darin Genres der darstellenden Künste sprengt. Wie stellt Florentina Holzinger die materielle und kulturelle Durchlässigkeit von Körpern dar? Wie werden kulturelle und körperliche Grenzen hergestellt und welche produktiven Potenziale eröffnen sich, wenn man diese zu überschreiten wagt?

Hinter dem Spektakel und der Provokation offenbart sich eine emanzipatorische Theaterpraxis, die für einen handlungsorientierten Feminismus einsteht, der aus den Lebensrealitäten der Akteur:innen erwächst. Solche körpernahen Praktiken der Subversion wie bei Holzinger lassen sich mit einem feministisch-neumaterialistischen Ansatz wie von Elizabeth Grosz eher erfassen als mit einem sprachlich-konstruktivistischen. Nicht allein die Handlungsmacht der Sprache verortet das Subjekt in einer heteronormativ strukturierten Welt – es ist die Prägung kulturell hervorgebrachter Normen, die in gegenseitiger Beeinflussung den Körper materiell formen und die Bedeutung spezifischer Körpermerkmale bestimmen. Am Körper werden Kämpfe um sexuelle Differenzen ausgetragen, die ihn über den Status bloßer Repräsentation von Ideen und Vorstellungen erheben.2

Der sich entleerende Körper: A Divine Comedy

Holzinger bevorzugt die unmittelbare Erfahrung einer sprach- und textzentrierten Reflexion, wie sie bei Elfriede Jelinek oder Milo Rau zu finden ist. Daraus erwächst ein Theater der Affekte, das mit seiner Bildgewalt die Zuschauer:innen ihre eigenen Grenzen und Vorannahmen erfahren lässt. Die Narration einer Fabel, die klassische Dramentexte – A Divine Comedy (2021), Ophelia’s Got Talent (2022) –integriert, fungiert bei Holzinger als ein Inszenierungselement unter vielen und wird szenografisch-bildhaften Komponenten sowie der körperlichen Ausdrucks- und Erzählfähigkeit untergeordnet. In der Enthierarchisierung theatraler Mittel wird eine Simultaneität und dadurch eine Überforderung des Publikums erzielt, in der sich Bedeutungsebenen überschneiden und somit eine eindeutige und unmittelbare Sinnzuschreibung verweigern. Die „visuelle Dramaturgie,“3 die dem Text nicht unterliegt und als Abgrenzung zu narrativen Theaterformen zu verstehen ist, mündet jedoch nicht in einem kühlen Formalismus. Stattdessen hebt Holzingers Theater die Abspaltung des Körpers aus der Sprache auf, um die schmerz- und lustvolle Körperlichkeit wieder in das Reich des Geistes hineinzutragen, in das, was Julia Kristeva laut Hans-Thies Lehmann das Semiotische im Zeichenprozess genannt hat.4

Holzinger und ihr Produktionsteam, in dem Bühnenbildner Nikola Knežević, Sounddesigner Stefan Schneider und Dramaturgin Renée Copraij den Kern bilden, beweisen ihre Expertise in der Verflechtung diverser ästhetischer und narrativer Elemente der darstellenden Künste. Wie alle Stücke Holzingers hat auch A Divine Comedy eine historische Vorlage: In diesem Fall dient Dantes Göttliche Komödie (1307–1321) als dramaturgisches Gerüst der Pastiche. Die drei jenseitigen Reiche – Hölle, Fegefeuer und Paradies – bilden den Rahmen für die Reise von Dante. Verwoben werden die literarischen Vorlagen und künstlerischen Topoi mit den Biografien und Professionen der Performer:innen, deren Hintergründe sich von Motocross und Bodymodification bis Sexarbeit und Hypnose erstrecken. Der für Holzinger typische collagenartige Aufbau bedient sich Tanz, Theater und Show und wird mit Stilmitteln des Actionfilms, wie Stunts und gestellte Schlägereien, ebenso wie durch Zirkusakrobatik und Pornografie, erweitert. Die schnellen Wechsel der Szenen und harten Brüche bilden lose Assoziationsketten zwischen den einzelnen Erzählfragmenten und den gewählten visuellen Mitteln. Die gezielten Darstellungen von Körperfunktionen und -Flüssigkeiten rufen bei vielen Zuschauer:innen starke Affekte der Aversion hervor, die von Schock und Ekel bis hin zu Angst und Schmerz reichen können. Diese Erfahrungen lenken den Blick auf die Sphäre des Abjekten, wie sie Julia Kristeva in Powers of Horror. An Essay on Abjection (1982) beschreibt.

Bedrohung des Abjekten

Kristeva bezieht sich in ihrem Konzept des Abjekten maßgeblich auf Freuds Ödipuskomplex und Lacans Spiegelstadium, im Rahmen derer sich ein Kind aus der symbiotischen Beziehung zur Mutter löst, um zum eigenständigen Subjekt zu werden. Im Säuglingsalter gibt es noch keine klare Differenz zwischen dem Selbst und Anderen. Nahrungsaufnahme, Verdauung und Ausscheidung sind Prozesse, die zunächst in völliger Abhängigkeit von der Mutter stattfinden. Mit dem Moment, in dem das Kind seine Körperlichkeit in Bezugnahme zur Mutter erkennt, bekommt es eine Vorstellung seiner selbst als eigenständiges Wesen. Laut Lacan ist das auch der Moment, in dem die Welt in Subjekt-Objekt-Konstellationen zerfällt: das Ich und das Andere, das Bekannte und das Fremde, Innen und Außen.

Der Vorgang der Subjektkonstitution erfolgt also durch eine Grenzziehung, indem ein Bereich erschaffen wird, der dem Selbst nicht zugehörig ist, und wohin das Ich nicht zurückkehren darf. Als eben solche Zone kann das Abjekte beschrieben werden: Ein Ausschlussbereich auf innerpsychischer wie sozialer Ebene, bei dessen Überschreitung die Gefahr der Subjektauflösung bzw. eines Ich-Todes droht. Ein Zustand, in dem das Gefühl eines kohärenten und abgeschlossenen Selbst abhanden kommt. Dementsprechend ist das Abjekte als Kontrapunkt notwendig zur Herstellung der Grenze, die die Konstituierung des Subjekts überhaupt möglich macht.5

Die unangenehmen Empfindungen, die durch die Begegnung mit Körperflüssigkeiten hervorgerufen werden, rekurrieren demnach auf die symbiotische Phase mit der Mutter, welche mit einem Rückfall in das Vorsprachliche, Ungeformte, Chaotische gleichgesetzt wird. Es ist die Angst vor dem Zustand der Abhängigkeit und Durchlässigkeit, letztlich der Ich-Auflösung, die in Form von Körperausscheidungen als drohende Gefahr immer wieder in unser Leben eintritt. Das Abjekte erinnert an diesen ursprünglichen Trennungsmoment und erzeugt Abscheu und Ekel, da es den Wunsch nach Symbiose mit der Mutter aufruft und gleichzeitig die Gefahr der Ich-Auflösung heraufbeschwört. Die eigentliche Bedrohung geht laut Kristeva aber davon aus, dass dem Subjekt (wie auch einer Gesellschaft oder Gruppe) dadurch bewusst wird, wie fragil und durchlässig diese Grenzen sind.6

Die Unabgeschlossenheit des Anderen ist bedrohlich, weil sie daran erinnert, dass man selbst unabgeschlossen ist. Sie erinnert daran, dass Identität und Körper nicht wirklich autonom, getrennt oder stabil sind – eine Einsicht, die in einer auf Abgrenzung, Kontrolle und Symbolik beruhenden Gesellschaft tiefes Unbehagen auslöst. Besonders stark zeigt sich das beim Anblick von Wunden, Blut und Eiter: Sie öffnen den Körper, machen ihn porös – und wir erkennen uns in dieser Verletzlichkeit wieder. Genau in dieser kollektiven Gemeinsamkeit liegt aber auch das Potenzial zu geistigem Wachstum und sozialer Verbundenheit.

Tabu, Reinheit und Theater als Ritual

Mit Kristeva kann behauptet werden, dass sich Florentina Holzingers Theater in der Sphäre des Abjekten bewegt, da sie das Abtrünnige und gesellschaftlich Verworfene auf die Bühne bringt. Szenen, in denen Performer:innen auf der Bühne urinieren und defäkieren, sind bereits aus Apollon (2017) bekannt. Auch in den nachfolgenden Inszenierungen, wie bei A Divine Comedy, werden Exkremente zum Material einer Action-Painting-Farbschlacht und Dixi-Toiletten fungieren metaphorisch als Eintritt in das Höllentor des Jenseits. Durch die absurde Komik und Übertreibung der Handlungen entstehen irritierende, da konträre Gefühle, welche die Konfrontation mit dem Abjekten erst erträglich machen.

Statt einem zu vermeidenden Kontrollverlust über körperliche Ausscheidungen wird bei Holzinger das Prinzip umgekehrt: Die Performer:innen trainieren ihre Körper mit Routinen und Ernährung darauf, zeitgenau auf der Bühne zu defäkieren.7 Tabus und Verbote, die das Unreine abwehren, sind gesellschaftlich so weit implementiert, dass es den meisten Menschen gar nicht möglich wäre, sich ohne ein solches Training und vor Zuschauer:innen auf der Bühne zu entleeren. Durch die Beherrschung und Kontrolle dieses Impulses wird der Akt selbst zu Kulturtechnik und Kunstfertigkeit erhoben und so in den Bereich einer möglichen Akzeptanz gerückt.

Indem Holzinger die Ausscheidung von Exkrementen öffentlich darstellt, bricht sie einerseits mit einem der gesellschaftlich am tiefsten verwurzelten Tabus.8 Gleichzeitig schafft die Theaterinszenierung Rahmenbedingungen, um die Legitimation dessen überhaupt verhandeln zu können. Urinieren und Defäkieren als Praktiken auf der Bühne erhalten durch den Kunstcharakter der Aufführung eine kulturelle Bedeutung. Der Bruch mit dem Tabu und damit der Übertritt in das Reich des Abjekten zwingt das Publikum, sich dazu neu zu verhalten, worin sich die Chance zur Integration des abgespaltenen Objekts eröffnet.

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt sich das Theater im deutschsprachigen Raum zu einem Ort der Ausnahmen. Im räumlichen wie institutionellen Rahmen des Theaters werden grenzüberschreitende Handlungen erlaubt, wenn nicht sogar erwartet, was die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz zwar erhöht, aber nicht garantiert. Mit Augenmerk auf die Herkunft des Theaters aus dem Ritual, wie sie Victor Turner und Erika Fischer-Lichte vertreten,9 bildet die Abweichung von der Norm die Regel; denn Rituale schaffen einen klar abgesteckten Rahmen, in dem Schwellenerfahrungen gemacht werden können. Diese können die eigene Weltordnung innerhalb einer kollektiven Erfahrung zwar destabilisieren, aber ohne das Subjekt dabei in eine existenzielle Krise zu stürzen. Theater kann das Abjekte auf eine Weise integrieren, die es für die Gemeinschaft handhabbar macht. Gelingt dies, so können bestehende Wertesysteme überprüft und damit auch tradierte Vorstellungen von Geschlechterrollen und Schönheitsidealen neu gesetzt oder gar verworfen werden.10

In A Divine Comedy gesellt sich zu offensichtlichen Tabubrüchen – etwa der öffentlichen Darstellung von Körperausscheidungen – eine subversive Unterwanderung der traditionellen Vorstellung von hoher Kunst. Diese basiert auf einer scheinbar unantastbaren Verehrung großer Meister wie Dante, deren Werke das Fundament der Theatergeschichte bilden. Doch Holzinger nutzt genau diese Grundlage, um durch eine gezielte Vermischung von Hoch- und Popkultur, von Showelementen, Trash und sogar Pornografie die etablierte Ordnung des Theaters herauszufordern. Holzinger knüpft damit an eine lange Tradition an, die sich bereits in Brechts epischem Theater ausmachen lässt, das sich ästhetischer Mittel aus Revue und Kabarett bedient, oder in den Inszenierungen zeitgenössischer Theaterkollektive wie She She Pop, deren Bühnenbilder und Erzählstrukturen an Reality-TV-Formate und Talkshows angelehnt sind.

Die eigentliche Zäsur entsteht jedoch nicht allein durch die Darstellung von Exkrementen und Nacktheit, welcher sich die künstlerischen Avantgarden der Performancekunst in den 1960er und 1970er Jahren bereits bedient haben. Vielmehr liegt sie in der ästhetischen Integration scheinbar disparater Elemente. Holzinger zitiert Kunstformen, die sich einst selbst gegen tradierte Normen richteten – wie das ritualistische Theater von Hermann Nitsch oder das arme Theater von Jerzy Grotowski, die sich in sehr direkter Weise auf die Herkunft des Theaters aus dem Ritual beziehen.11 In einer Szene der Divine Comedy etwa wird eine Massenschlägerei mit Kunstblut in eine wilde Farbschlacht überführt, bei der die Performer:innen mit Farbtuben agieren und die rohe Körperlichkeit in eine grotesk übersteigerte Bildsprache mündet. In der parodistischen Nachahmung von Männlichkeitsbildern kann auch eine Anspielung auf das cis-männliche Künstlersubjekt gesehen werden, das sich sowohl in der Malerei als auch mit dem Aufkommen der Performance- und Videokunst selbstreferenziell mit seiner Körperlichkeit einbringt (z. B. bei Jackson Pollock, Vito Acconci oder Günter Brus).12

Der disziplinierte Körper: Tanz

Das Streben nach Meisterschaft und Perfektion und das Scheitern daran ziehen sich als roter Faden durch Holzingers Stücke. Die Beherrschung von als unrein markierten Körperfunktionen wird genauso als Könnerschaft gesehen wie Training im Leistungssport. Dabei steht keine andere Bühnenkunst so sehr für körperliche Bestleistung und zugleich Virtuosität wie das Ballett. In dem Stück Tanz (2019), das sich mit der Tradition des Balletts, dessen Idealen von Schwerelosigkeit und Schönheit auseinandersetzt, kollidiert eine Trainingsstunde mit einer Body-Suspension-Szene, deren expliziter Einsatz von Schmerz nur im ersten Moment der Grazie des Balletts entgegengesetzt scheint.

Vier Performer:innen in Trainingskleidung und Spitzenschuhen schauen starr nach vorne, je eine Hand am Barren. Eine ältere Performer:in, vielleicht um die 75 Jahre alt, mit blasser Haut und langen roten Haaren, betritt die Bühne. Eine Narbe ist zu erkennen – ihre linke Brust wurde wahrscheinlich einmal operiert. Mit den Worten „Today, I teach you how to govern your body“ eröffnet sie eine Ballettstunde. „Music, please.“ Es ertönt klassische Musik aus dem Off: Tschaikowsky, Mozart, Strawinsky. Die Gruppe probt Fragmente unterschiedlicher romantischer Ballette wie La Sylphide und Le Sacre du Printemps. Wie im Ballett üblich, werden die Positionen permanent wiederholt, wobei die Korrekturen der Ballettmeisterin Beatrice ‚Trixie‘ Cordua, einer ehemaligen Primaballerina, immer anzüglicher werden und schließlich ins Übergriffige kippen. Ihre Schmeicheleien werden als pornografische Fantasien entlarvt, die mit romantisierten Naturmetaphern voller Pathos vorgetragen werden. Zunehmend berührt sie die Tänzer:innen beim Training zugunsten einer ‚idealen Haltung‘ und nötigt sie schließlich, sich zu entkleiden. Ihre Schüler:innen folgen ohne ein Wort und ziehen ein Kleidungsstück nach dem anderen aus, bis alle nackt auf der Bühne proben. Wer regiert hier über die Körper? Die Ballettmeisterin, die in ihrer Machtstellung über diese verfügt? Oder zeigt sich hier die Selbstbestimmtheit der Performer:innen, die sich wie selbstverständlich vor den Augen der Zuschauenden entblößen und gerade in ihrer Vulnerabilität eine Stärke verkörpern?  

Tanz zeigt, dass patriarchale Machtverhältnisse auch von weiblich gelesenen Personen internalisiert werden können. Daran anschließend kann kritisch gefragt werden, inwiefern cis-Frauen und marginalisierte Gruppen patriarchal-hegemoniale Muster mittragen und reproduzieren. Eine weibliche oder queere Identität zu besitzen, bedeutet nicht automatisch, feministisch oder solidarisch zu sein, da diese Personengruppen ebenso in rassistischen, kapitalistischen und patriarchalen Strukturen sozialisiert sind, wie der Machtmissbrauch der Balletmeisterin illustriert. In der Intersektion verschiedener Machtgefüge, der unterschiedlichen Gewichtung von Sex und Gender neben weiteren Parametern, entstehen komplexe, verschränkte Formen der Unterdrückung, die jedoch durch die ontologische Unabgeschlossenheit und Unvollständigkeit der Körper überwunden werden können.13

Eine Person, die im Hintergrund an einem kleinen Rollwagen Dinge zu sortieren scheint, läutet einen Szenenwechsel ein. Es ist Suzn Pasyon, professionelle:r Suspension-Piercer:in, ruhig und methodisch Utensilien vorbereitend. Pasyon nähert sich einem:er der Tänzer:innen, desinfiziert deren Rücken und scheint ein Lokalanästhetikum aufzutragen, bevor Pasyon vier Fleischerhaken mit höchster Konzentration durch die Haut führt. Der Prozess wird live gefilmt und die Nahaufnahmen im Saal projiziert. Blut läuft über den Rücken der gepiercten Person, die das Prozedere meditativ und genussvoll geschehen lässt. Sobald die Haken an der richtigen Position sind, werden vier Seilstränge befestigt und der Körper daran emporgehoben. Wie ein Stück Stoff spannt sich die Haut an den Einstichstellen, bildet Falten und Wülste, ohne unter dem Gewicht einzureißen. In dieser Position bewegt die Person Arme und Beine, als würde sie fliegen, führt Tanzbewegungen aus und stößt schließlich einen Schrei aus, der ekstatisch wie schmerzerfüllt zugleich ist.

Das verkörperte Subjekt

In den beschriebenen Szenen finden sich wie in A Divine Comedy Körperpraktiken, die die Fragilität und Durchlässigkeit von Grenzen ausreizen – allerdings nicht durch die Überwindung von Ekel und Scham, sondern im Bruch der physischen Integrität und körperlichen Unversehrtheit. Julietta Singh beschreibt den „eigenen Körper als unmögliches, verfallendes Archiv,“14 als materielle Ansammlung von Zeitlichkeit, kultureller Prägung und von inneren wie auferlegten Überzeugungen, die sich auf der Hautoberfläche und in den Organen abzeichnen. Es ist das Leben selbst, das sichtbar am Körper Spuren hinterlässt, sei es durch Geburt, Ernährung, Sport oder Piercings, aber auch sexualisierte Gewalt, ein besonders prägnantes Beispiel für die Reziprozität zwischen Individuum und Fremden, physischer Handlung und seelischer Spur. An der Haut, als materielle Barriere zwischen Innen und Außen, dem Ich und dem Anderen, zeigt sich der Mensch besonders verwundbar und öffnet sich anderen Individuen in seiner Verletzlichkeit, körperlich wie emotional.

„Letztlich sind wir keine abgegrenzten, abgeschlossenen Subjekte, sondern solche, die mit fremden Gefühlen und Stimmungen angefüllt sind, welche im Raum zirkulieren und nachhallen, die in uns eindringen, während wir durchs Leben gehen. Wir wiederum hinterlassen beim Gehen Spuren unserer selbst und unserer affektiven Zustände (die nie ganz unsere eigenen sind).“15

Der poröse Körper macht es möglich, Verbindungen mit anderen einzugehen – Verbindungen, die schon immer durch eine kollektive Historizität  bestanden und durch den Imperativ des Individualismus der abendländischen Philosophie verdeckt oder unsichtbar gemacht worden sind.16 Essenziell in der Funktion der Selbstwahrnehmung und Subjektkonstitution wird diese äußerste Grenze des menschlichen Körpers, die Haut, zum Verhandlungsort institutioneller Machtdispositive und zum Artikulationsort individueller Selbstermächtigung gleichermaßen.17

In Tanz wird die individuelle wie kollektive Historizität und Prägung von Körpern ins Zentrum gerückt. Die Nacktheit der Körper macht deren Materialität sichtbar, die Form und Ausdruck des Inneren wie Äußeren zugleich ist. Tattoos und Narben sind Spuren im Archiv der eigenen Vergangenheit, welches eine Ansammlung von Trauma, Wertschätzung und selbst- wie fremdgeleiteten Erwartungen ist. Die Grenzen zwischen diesen Kategorien sind verschwommen. Sie diffundieren durch den Körper, der sich wie eine durchlässige Membran verhält, in der Außen und Innen in ständiger Wechselwirkung stehen.

Wie in Tanz zu sehen, vermag Training den Körper zu transformieren und zu modellieren, sodass er die Ideale und Vorstellungen verkörpert, die ihn gleichzeitig hervorbringen: Die Körper der Tänzer:innen signalisieren vielmehr Stärke in einer athletischen Form als die Fragilität und Leichtigkeit des Balletts. Die verkörperten wie erzählten Geschichten, die in Tanz auf die Bühne gebracht werden, sind gleichermaßen eine Auseinandersetzung mit individuellen Biografien, die in das Narrativ des Stückes eingewoben werden. Die Performer:innen agieren in fiktiven Rollen – etwa als Hexen oder Balletttänzerinnen – und inszenieren zugleich ihr Selbst auf der Bühne – etwa als Primaballerina oder Body-Suspension-Künstler:in –, sodass Bühnenidentität und Privatperson, Rolle und gesellschaftlicher Kontext, zusammenfallen.

Nach Grosz ist der Körper konstitutiv für die Subjektwerdung zu denken, indem wechselseitige Projektionen der Affekte auf die Organe und umgekehrt stattfinden. Das über Selbst- und Fremdprojektionen erzeugte Körperbild und Körperempfinden ist fluide, nahezu osmotisch und endet nicht mit der Haut. Die Grenzen, Kanten und Konturen des Körpers haben die bemerkenswerte Fähigkeit, in einem ständigen Wechselspiel Außen und Innen aufzunehmen und auszustoßen.18 Der Körper ist dabei weder dem Geist unterworfen, noch muss er in seiner triebgesteuerten Fleischlichkeit gezähmt werden: „Both psychical and social dimensions must find their place in reconceptualizing the body, not in opposition to each other but as necessarily interactive.“19

Diese emanzipatorische Konzeption steht der tradierten Markierung des als weiblich definierten passiv-reproduktiven Körpers gegenüber, von der auch die Performer:innen in Tanz nicht ausgenommen sind, von der sie sich jedoch im Laufe des Stückes zunehmend distanzieren.20 Der dynamische, für kulturelle Implikationen offene Körper wiederum macht eine Durchlässigkeit sexueller sowie geschlechtlicher Kategorien möglich. Grosz spricht in dem Zusammenhang von einer „verkörperten Subjektivität“ und einer „psychischen Korporalität,“ die sich aus Wissensdiskursen zusammensetzen und eine jeweils individuelle Ausprägung finden.21 Das verkörperte Subjekt ist weder rein öffentlich noch privat, weder nur kulturell noch natürlich, sondern formt sich konstant im Laufe der Lebensjahre.

Schmerz als Befreiung

In Tanz wird Schmerz als Affekt aus dem Reich des Abjekten in den Fokus gerückt. Die Erprobung der Überschreitung körperlicher wie mentaler Grenzen gleicht einem Drahtseilakt, bei dem man stets an der Schwelle zwischen Gefahr und Sicherheit balanciert:


„[…] [T]ransgression has its entire space in the line it crosses. The play of limits and transgression seems to be regulated by a simple obstinacy: transgression incessantly crosses and recrosses a line which closes up behind it in a wave of extremely short duration, and thus it is made to return once more right to the horizon of the uncrossable.“22

Enttabuisierung und Verschiebung kultureller Normen sind keine einmaligen Gesten, sondern werden für jede Situation neu verhandelt und stellen so eher eine konstante Vor- und Zurückbewegung dar.

Körper laufen nicht nur Gefahr, verletzt zu werden, sondern zeigen durch ihre Verletzbarkeit auch ihre Stärke. Es ist „eine Möglichkeit, den unerschöpflichen Beziehungsreichtum zwischen den Körpern zu denken und [zu] fühlen“ und das Selbst, das „Körper-Archiv“ als etwas „Werdendes und Vergehendes“ zu begreifen.23

Die ästhetischen Ideale des Balletts, die mit einem zarten, hilflosen und schutzbedürftigen Weiblichkeitsbild verknüpft sind, werden zitiert, um dekonstruiert zu werden.  Dabei werden durch die zeitliche Aufeinanderfolge der beiden beschriebenen Szenen Gemeinsamkeiten hergestellt, die zwischen Schönheit, Schmerz, Erhabenheit und Dominanz angesiedelt sind. Der Wunsch nach Schwerelosigkeit erfordert sowohl im Body-Suspense als auch im Ballett eine schmerzhafte Disziplin und Körperkontrolle. In Anbetracht der als sexuellen Übergriff zu deutenden Trainingsszene und der Zitation der Formensprache der klassischen Tanztechnik werden nicht nur traditionelle Vorstellungen von Ästhetik und Weiblichkeit im Tanz provoziert, sondern auch institutionelle Machtdynamiken unter der Rechtfertigung eines künstlerischen Ideals vorgeführt. Die Disziplinierung des Körpers unter Berufung auf ästhetisches Perfektionsstreben im Ballett wird als Trauma herausgestellt, während sich die schmerzhafte, aber einvernehmliche Praxis der Body-Suspension als emanzipatorischer Akt zeigt. Im Ballett wird der Körper so lange trainiert, bis er den technischen Standards gehorcht und die perfekte Illusion von Leichtigkeit erzeugt, die alle Mühen und Schmerzen dahinter verschwinden lässt – wohingegen die einvernehmliche Zufügung von Schmerzerfahrungen diese als selbstgewählten, bewusstseinserweiternden Erfahrungsmodus zentriert.

Das Verletzen der Haut wird in westlichen Gesellschaften, die keine ritualistisch-sakrale Form der Tätowierung kennen, als barbarischer Akt gewertet, der mit dem Bild einer invertierten, versteckten – also privaten – Individualität unvereinbar ist.24 Wenngleich Tattoos mittlerweile weitaus akzeptierter sind als noch vor einigen Jahren, wird den meisten Praktiken der Körpermodifikation weiterhin ablehnend begegnet. Grosz verweist auf Alphonso Lingis, der betont, dass diese Praktiken die erogene Sensibilität des Körpers erweitern:

„Welts, scars, cuts, tattoos, perforations, incisions, inlays, function quite literally to increase the surface space of the body, creating out of what may have been formless flesh a series of zones, locations, ridges, hollows, contours: places of special significance and libidinal intensity.“25

Körper sind in erogene Zonen unterteilt, die bestimmen, wo und auf welche Weise Lust empfangen wird. Körperteilen werden Funktionen zugeschrieben: Beine sind zum Gehen da, Genitalien zur Fortpflanzung. Daran schließen sich Mechanismen der Ein- und Ausschlüsse an, die dem verkörperten Subjekt wortwörtlich einen Platz im sozialen Kollektiv zuweisen. Entsprechend können transgressive Praktiken wie Piercing, Tätowierung oder Body-Suspension Systeme subvertieren, deren Exklusionsmechanismen die eigentliche Basis der Verletzung bilden.26

Die Doppeldeutigkeit des Körpers als ein politischer wie materiell-individueller Körper zeigt auch in Gilles Deleuzes und Félix Guattaris Konzept des Body without organs (BwO) eine Denkweise an, die Körperlichkeit über die Strukturierung der Organe in Zonen hinaus erweitert. Daraus ableitend kann man den Körper als Oberfläche verstehen, auf dem Intensitäten und Affekte zirkulieren können, der aber nicht wie bei Kristeva im Vorsymbolischen lokalisiert ist, sondern vielmehr als gegenwärtiger Modus bewusst erzeugt wird.27 Der ‚entleerte Körper‘ ist des-organisiert; die Bedeutungen und Funktionen der Organe und Körperteile sind aufgehoben, umstrukturiert. Masochistische Körperpraktiken, wie sie von Deleuze und Guattari beschrieben und bei Holzinger praktiziert werden, sind Experiment und Ausweitung der Schmerzgrenzen. Geleitet von einem mechanistischen Weltbild ist der Körper als BwO eine Produktionsmaschine des eigenen Begehrens: „Flows of intensity, their fluids, their fibers, their continuums and conjunctions of affects, the wind, fine segmentation, microperceptions have replaced the world of the subject.“28 Der Körper fungiert hierbei als Vehikel für den Schmerz als Erfahrung, über den letztendlich die Vitalität  als energetischer Strom erfahren wird.29 Die Charakterisierung des Lebendigen – insbesondere des Körpers – liegt in seiner Prozessualität und seiner unaufhörlichen schöpferischen Entwicklung. 

Der an der Haut durchbohrte Körper ist ein für Affekte offener Körper, durch den Wellen des Schmerzes hindurchgehen können, ohne ihn mit dem Tod zu bedrohen und in eine existenzielle Krise zu stürzen. Der Körper wird so vorbereitet, dass er fähig wird, zum Spielfeld des Begehrens zu werden. Die Des-organisierung des Körpers muss kontrolliert, nur in bestimmten Situationen, und mit sorgfältiger Vorbereitung getroffen werden; dann findet man im Abgrund des Abjekten neben der Angst vor Auflösung und Tod auch die Intensität des Lebens selbst:

„The body’s inside, in that case, shows up in order to compensate for the collapse of the border between inside and outside. It is as if the skin, a fragile container, no longer guaranteed the integrity of one's "own and clean self" but, scraped or transparent, invisible or taut, gave way before the dejection of its contents.“30

Als ob die Haut dem Hervortreten ihres Inhalts nachgibt, treten die Aspekte hervor, die normalerweise verborgen bleiben, deren Sichtbarkeit jedoch die Grenzen unserer Identität infrage stellt. Das Hervortreten des Inneren symbolisiert den Verlust der klaren Trennung zwischen dem Selbst und dem Anderen, welche nur einen Sonderzustand und nie die Regel darstellen kann.

Body-Suspension, wie sie in Tanz dargestellt wird, und letztlich auch das Ballett, können als selbstzerstörerische Praktiken gelesen werden, die jedoch keine Vernichtung anstreben, sondern eine kreative Dekonstruktion. Sie eröffnen eine Möglichkeit, Körperlichkeit über die reine Funktionsfähigkeit hinaus zu betrachten und mit Neugierde zu begegnen. Indem die Haut als Fläche verstanden wird, auf der Affekte zirkulieren können, findet in den Praktiken eine Annäherung an Schmerz statt, die mit dem Gefühl fremd zugefügter Gewalt nichts mehr zu tun hat. Holzinger zeigt somit Schmerz als Möglichkeit der Selbstermächtigung und als Affekt, der nicht auf Opferstatus oder Leid reduziert wird, sondern die Grenzen des Körpers und der Wahrnehmung erweitert.

Dramaturgie der 1000 Höhepunkte

Florentina Holzingers Praxis lässt sich als ein affektorientiertes, bildgewaltiges und körperbezogenes Theater verstehen, das im sexuellen wie dramaturgischen Sinn stets auf einen Klimax hinarbeitet. In Stücken wie Tanz oder A Divine Comedy manifestieren sich Höhepunkte oft in Momenten extremer körperlicher Entäußerung, wie etwa in Szenen mit Defäkation, oder durch Orgasmen, die von Arien und Opernklängen begleitet werden. Diese Verschmelzung von Körperlichkeit und Hochkultur schafft eine einzigartige Spannung in ihren Werken.

Holzingers Arbeiten scheinen in ihrer stetigen Verfolgung von Steigerungs- und Höhepunkten auf eine kathartische Wirkung abzuzielen, indem sie extreme körperliche Erfahrungen, Schmerz und Überschreitung inszenieren. In der Katharsis als seelisch-leiblicher Vorgang findet eine temporäre Verschränkung von Innen und Außen, Körperlichkeit und Seelenleben statt. Ähnlich wie das Urinieren oder Defäkieren eine reinigende, entleerende Wirkung haben kann, dient die Katharsis als Reinigung von angestauten Affekten. Als „Ausscheidung der im Verlauf der Aufführung erregten [...] Affekte“31 kann sie Erleichterung, Freude oder Vergnügen bereiten, wodurch angestauter emotionaler Druck abgebaut wird und das Gefühl einer Erleichterung eintritt.

Jedoch zeigen die oft schockierten Reaktionen des Publikums auf die Selbstverletzungen und Körperausscheidungen bei Holzingers Stücken, dass die intendierte Reintegration des Abjekten nicht automatisch eintritt. Die Konfrontation mit solch expliziten Bildern und Handlungen kann von vielen Zuschauer:innen als zu belastend empfunden werden, was die Grenzen dieser Strategie aufzeigt. Die Wirkung bleibt somit ambivalent: Während der Theaterrahmen einerseits einen geschützten Raum für die Auseinandersetzung mit dem Abjekten bietet, garantiert er andererseits nicht dessen problemlose Akzeptanz.

Peggy Phelan kritisiert die Politik der Sichtbarkeit, die den Fokus zu stark auf das Bild legt, und weist darauf hin, dass Sichtbarmachung nicht zwangsläufig mit Ermächtigung einhergeht. Dahingehend warnt sie: „Visibilty is a trap.“32 Die Annahme, dass das Sichtbar-Machen von Körpern im öffentlichen Raum automatisch eine politische oder subversive Wirkung entfaltet, ist ein Trugschluss.33

Doch Themen, die mit Scham und Stigmatisierung behaftet sind, werden bei Holzinger durch die Fertigkeiten der Performer:innen zu etwas ‚Höherem‘ erhoben und entfalten in dem Wagnis zur Transgression eine emanzipatorische Kraft. Mit Scham und Stigmatisierung besetzte Handlungen und Professionen fungieren bei Holzinger als Ventil, unterdrückte Affekte zuzulassen und zum Ausdruck zu bringen. So eröffnet sich ein Weg, sich mit der eigenen Geschichte und den darin verankerten Erfahrungen bewusst auseinanderzusetzen.

Ohne Zweifel ist Holzingers Theaterpraxis eine Herausforderung für etablierte Sichtweisen auf Körper, Geschlecht und Kunst und wandelt stets auf dem schmalen Grad zu Spektakel, Fetischisierung und Voyeurismus. Doch in genau diesem Zwischenraum beginnen sich die relevanten gesellschaftlichen Fragen zu formen. Ihre Stücke sind grenzüberschreitend, um das Thema der Grenze zur Diskussion zu bringen. In den Debatten um Ihre Stücke zeigt sich, wie sehr Tabus und Normen in Bewegung sind.


Claudia Redka hat einen Masterabschluss in Theaterwissenschaften von der Freien Universität Berlin und studiert derzeit Bildende Kunst an der Kunsthochschule Weißensee. Sowohl in ihrer wissenschaftlichen wie künstlerischen Praxis fokussiert sie medienübergreifende Werke zwischen Bildhauerei, Installation und Theater. Ihr theoretisches Interesse gilt Themen wie der Arbeit unter neoliberalen Marktbedingungen, queeren Lebensweisen und den neumaterialistischen Perspektiven auf die Agency nicht-menschlicher Akteur:innen. Als Künstlerin setzt sich Claudia mit Brüchen, Lücken und Fragmenten in Kommunikationsprozessen auseinander und untersucht die Transformation von (Wissens-)Narrativen durch deren Übertragung in visuell-skulpturale Formen.



1 „‚Sancta‘ von Florentina Holzinger: 18 Erste-Hilfe-Einsätze bei Opernperformance in Stuttgart“, Spiegel, 10.10.2024, https://www.spiegel.de/kultur/sancta-von-florentina-holzinger-18-erste-hilfe-einsaetze-bei-opernperformance-in-stuttgart-a-99f29ccf-8a2a-4a67-b0a9-9fc4181edc0f (zuletzt abgerufen am 30.12.2024).
2 Vgl. Elizabeth Grosz, Volatile Bodies: Toward a Corporeal Feminism (Bloomington, Indianapolis: Indiana University Press, 1994), vii-x.
3 Hans-Thies Lehmann, Postdramatisches Theater, 6. Auflage (Frankfurt am Main: Verlag der Autoren, 1999), 159.
4 Vgl. ebd., S. 146-151, 161. In Kristevas Theorie ist das Semiotische die körperlich-affektive Dimension der Bedeutungserzeugung.
5 Vgl. Julia Kristeva, Powers of Horror: An Essay on Abjection (New York: Columbia University Press 1982), 2; 8; 45.
6 Vgl. Kristeva, Powers of Horror, 11-15; 52 ff.
7 „How to SH*T on stage—the technique breakdown with Florentina Holzinger“, Mind Culture Podcast, 11.11.2021, https://www.youtube.com/watch?v=3829zXHayPg&t=33s (zuletzt abgerufen am 02.02.2025).
8 „Detachable, separable parts of the body—urine, faeces, saliva, sperm, blood, vomit, hair, nails, skin—retain something of the cathexis and value of a body part even when they are separated from the body. There is still something of the subject bound up with them—which is why they are objects of disgust, loathing and repulsion as well as envy and desire. They remain (peripheral, removable) parts of the body image, magically linked to the body.“ Grosz, Volatile Bodies, 81.
9 Über die Ableitung des Theaters als kulturelle Performance aus dem Ritual siehe: Andréa Belliger und David J. Krieger (Hg.), Ritualtheorien: Ein einführendes Handbuch, 5. Auflage (Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 2013), 10; Victor Turner und Erika Fischer-Lichte, Vom Ritual zum Theater: Der Ernst des menschlichen Spiels (Frankfurt, New York: Campus Verlag, 2009), xi-xv; sowie Erika Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, 11. Auflage (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2019) 41; 45f.
10 Vgl. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, 305-309; 338 ff.
11 Vgl. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, 339.
12 Vgl. Rosalind Krauss, „Video: The Aesthetics of Narcissism“, October, no. 1 (spring 1976), 50–64. https://monoskop.org/images/9/99/Krauss_Rosalind_1976_Video_The_Aesthetics_of_Narcissism.pdf (zuletzt abgerufen am 05.02.2025). Weibliche Künstlerinnen wie VALIE EXPORT und Carolee Schneemann stießen wiederum durch eine körperliche Selbstreferenzialität feministische Diskurse an.
13 bell hooks, The Will to Change: Men, Masculinity, and Love (New York, London, Toronto, Sydney: Atria Books, 2004), 63 ff.
14 Julietta Singh, Kein Archiv wird Dich wiederherstellen (Leipzig: Merve, 2023), 24.
15 Singh, Kein Archiv, 30.
16 Vgl. Singh, Kein Archiv, 30 ff.
17 Vgl. Grosz, Volatile Bodies, 116 ff.
18 Vgl. Grosz, Volatile Bodies, 79.
19 Grosz, Volatile Bodies, 23.
20 Grosz, Volatile Bodies, 9. „As an instrument or tool, it requires careful discipline and training, and as a passive object it requires subduing and occupation.“
21 Vgl. Grosz, Volatile Bodies, 19; 22.
22 Michel Foucault, „A Preface to Transgression“, in ders., Language, Counter-Memory, Practice: Selected Essays and Interviews, hg. v. Donald F. Bouchard (Ithaca: Cornell University Press, 2021), 34. Foucault bezieht sich hier insbesondere auf den Erotizismus Batailles und de Sades, die in ihren Schriften die Grenzen der Sprache und des Sagbaren ausloten und überschreiten.
23 Singh, Kein Archiv, 27.
24 Vgl. Grosz, Volatile Bodies, 138.
25 Grosz, Volatile Bodies, 139.
26 Vgl. Grosz, Volatile Bodies, S. 138-142.
27 Vgl. Gilles Deleuze und Félix Guattari, A Thousand Plateaus: Capitalism and Schizophrenia (Minneapolis, London: University of Minnesota Press, 1987), 164 f.
28 Deleuze und Guattari, A Thousand Plateaus, 162.
29 Vgl. Deleuze und Guattari, A Thousand Plateaus, 149-153; 158: „A BwO is made in such a way that it can be occupied, populated only by intensities. Only intensities pass and circulate. Still, the BwO is not a scene, a place or even a support upon which something comes to pass […], it is matter that occupies space to a given degree – to the degree corresponding to the intensities produced.“
30 Kristeva, Powers of Horror, 53.
31 Bernd Seidensticker, „Katharsis“, in Theaterlexikon: Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles, hg. v. Manfred Brauneck und Gérard Schneilin, 2. durchges. Auflage (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1990), 492–493.
32 Peggy Phelan, Unmarked: The Politics of Performance (London: Routledge, 2004), 6.
33 Vgl. Phelan, Unmarked, 6; 11.

Journal der Freien Universität Berlin

Berlin, 2025